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Wolfgang Hattinger:  Einige Fragen und versuchte Antworten:


1. Kann sich die Neue Musik, wenn sie wahrgenommen werden will, den herrschenden Anpreisungsmethoden entziehen? Ich meine ja; mit der Konsequenz, nur in einem kleinen gesellschaftlichen Bereich wahrgenommen zu werden. Was wie ein hoher Preis für  den Verzicht des Hypes anmuten könnte, ist tatsächlich ein Gewinn: Es scheint mit ein falscher Gedanke, zu meinen, nur dann sinnvolle Arbeit gemacht zu haben, wenn alle Musikhörer von der Wichtigkeit Neue Musik überzeugt wurden. Zeitgenössische Musik ist ein Angebot an alle, aber sie ist nicht Musik für alle. Neue Musik ist eine bildungsgesättigte Kunst und setzt einiges an Kenntnis und Beschäftigung mit ihr voraus. Wir Neue-Musik-Macher sind nicht die allein Verantwortlichen, für diese zu sorgen. Als Veranstalter klein zu bleiben hat darüber hinaus den großen Vorteil, beweglich zu bleiben. Das größere Maß an behaltener Unabhängigkeit ist auch ein gesellschaftliches Signal.
2. Soll die Neue Musik den Anspruch, mit dem Publikum in Kommunikation zu treten, aufgeben? Ich meine: nein. ‚Verstehen’ ist in Zusammenhang mit Musik ein missverständliches Wort, weil es suggeriert, es gäbe da etwas ganz Bestimmtes, das vom Komponisten so oder so gemeint war und verstehend zu entdecken wäre. ‚Verstehen’ meint zunächst eher, sich auf eine Beziehung mit dem Werk einzulassen, sich etwas Neuem so vorurteilsfrei wie möglich zu öffnen, aber auch, über Musik zu sprechen. Kryptische Höranweisungen in Programmheften, die sich manchmal wie Hörbefehle lesen, sprechen in ihrer Geheimsprache häufig von oben herab. Die Minimalforderung für Kommunikation besteht darin, dass dem Sender ein Empfänger gegenüberstehen muss. Wenn die Sendung völlig an der Welt des Empfängers vorbei geht, wenn der Hörer nirgendwo in seiner Welt erreicht wird, wird sich Kommunikation nicht einstellen können.
3. Stellt ein geringes Publikumsinteresse ein Problem für die Neue Musik dar? Ich meine: nicht unbedingt. Angesichts der unermesslichen Informationsmengen, die uns permanent berümpeln, ist Selektion eine vorrangige Kulturtechnik geworden. Sie ermöglicht, Zeit als etwas Wertvolles zu schützen. Die Kunstwelt, die längst zu einem Bestandteil der Konsumwelt geworden ist, hat unsere Wahrnehmung, unsere Handlungen und unseren Umgang mit Zeit verändert. Die Welt ist übervoll mit kulturellen Anreizen auf allen Niveaus. In Konkurrenz gegen alle anderen zu treten, nämlich der Kampf fürs Wahrgenommen werden, ist auch zu einer wesentlichen Tätigkeit von Veranstaltern und Künstlern geworden. Wer sich und sein Event nicht ins kollektive Bewusstsein plärrt, wird niemals Marke. Sei’s drum! (Und zwar ohne schlechtes Gewissen: sei’s drum!) Wirtschaftlicher Erfolg steht in keiner kausalen Beziehung zur Rechtfertigung der Existenz von Kunst. Die behauptete ‚Umwegrentabilität’ ist Ausrede für jene, die sie sich zu einer machen.
4. Hat es unter solchen Bedingungen überhaupt Sinn, sich für zeitgenössische Musik zu engagieren? Ich denke: ja, obwohl ich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für unerfreulich halte. Heute komponierte Stücke haben – unter anderen Voraussetzungen als vor zwei Jahrhunderten – wieder den Anschein von Gebrauchsmusik. Heute werden sie benötigt, um als Uraufführungen Neue-Musik-Festivals zu rechtfertigen oder um als Alibi-Kompositionsaufträge in Orchesterabonnementkonzerten aufzutauchen. Komponisten ebenso wie Interpreten, müssen sich situativ die Frage jeweils neue beantworten, ob das Ergebnis den Preis rechtfertigt, der zu bezahlen ist. Die Antwort wird sich im Abwägen von Karriereinteresse, befragtem Gewissen und Anspruch, innerer Notwendigkeit zu komponieren und dem erforderlichen Aufwand ergeben. Im aktuellen Musikbetrieb sind Businessmodelle zwar insofern Aspekte von Künstlerschicksalen, als sie sich diesen stellen müssen, schicksalshaft ausgeliefert sind sie ihnen jedoch nicht. Auch in Nischen lässt sich mitunter ganz gut wohnen.

Schlussabschnitt des Aufsatzes „Zwischen Anspruch und Event – Vom schlechten Gewissen der Musikmacher“ von Prof. Wolfgang Hattinger (Kunstuniversität Graz) in:
Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) 2007/8-9S. 18-26.